Zur Rose:
Das E-Rezept wird zur Posse – Trotzdem sehe ich noch Chancen

Vorab eine kurze Information für die Leser, die erst vor wenigen Wochen zu uns gestoßen sind. In der Vergangenheit hatten wir die Aktie der Schweizer Online-Apotheke Zur Rose insgesamt zweimal im NextGeneration-Depot gehalten. Während die erste Transaktion uns eine ganz beachtliche prozentual dreistellige Kursrendite beschert hat, musste der zweite Kauf aufgrund anhaltender Kursschwäche vorzeitig abgebrochen werden. Mitte des Jahres hatte ich die Aktie folglich aus dem NextGeneration-Depot verkauft.

Einige Premium-Leser halten die Aktie der Zur Rose unverändert in ihren Depots. So sind einige unter Ihnen zuletzt mit dem Wunsch einer Neubesprechung auf mich zugekommen, zumal die Aktie der Online-Apotheke weiterhin sehr schwach tendiert.

Zur Sache: Die europäischen Online-Apotheken wie Zur Rose waren im laufenden Jahr mit einer ungewöhnlichen Kombination schlechter Nachrichten konfrontiert. Während 2020 und 2021 die gesamte E-Commerce-Branche noch einen enormen Aufschwung erlebte, hat sich das Branchenmomentum ganz unabhängig vom konkreten Geschäftsmodell des Unternehmens enorm eingetrübt.

Das Motto der Verbraucher: Weniger digital, sondern wieder mehr physisch konsumieren. Unternehmen wie Amazon, Netflix oder hierzulande auch Zalando und HelloFresh melden seitdem regelmäßig enttäuschende Geschäftszahlen. Auch Zur Rose musste im ersten Halbjahr 2022 erstmals seit Jahren einen rückläufigen Konzernumsatz (-3,6 %) hinnehmen. Auch konnte man die Kundenbasis von knapp 12 Millionen Nutzern bzw. Patienten nicht mehr ausbauen.

Dabei waren die Online-Apotheken daneben noch von einem besonders schädlichen Sonderfaktor betroffen. Vor allem Zur Rose hatte Millionen in aufwendige Marketing-Kampagnen zur Vorbereitung des sog. E-Rezeptes in Deutschland gesteckt. Dieses digitale Rezept galt den Online-Apotheken als Einfalltor in den milliardenschweren Markt für verschreibungspflichtige Präparate. Die Idee war und ist gut: Ein digitales Rezept löst man am besten digital bei einer Online-Apotheke ein.

Das E-Rezept ist da, zumindest in der Theorie

Den deutschen Irrweg will ich an dieser Stelle nicht nochmals nachzeichnen. Tatsache ist, die Einführung der digitalen Anwendung E-Rezept geriet zum Fiasko, und die Online-Apotheken hatten Millionen Euro oder Franken für Werbekampagnen und für eine Infrastruktur verschleudert, die bis heute niemand braucht bzw. sinnvoll nachfragen kann.

Mittlerweile ist das E-Rezept nun doch da, zumindest auf dem Papier oder in der Theorie. Danach können praktisch alle deutschen Apotheken – egal ob stationär oder digital – die elektronische Verordnung umsetzen. Seit dem 1. September läuft die bundesweite verbindliche Einführung des E-Rezeptes schrittweise an. Aktuell müssen niedergelassene Ärzte in Schleswig-Holstein sowie im Bezirk Westfalen-Lippe (Nordrhein-Westfalen) das E-Rezept auf Nachfrage ausstellen. Generell kann jeder niedergelassene Arzt in Deutschland ein E-Rezept als zusätzlichen und freiwilligen Service anbieten.

So die Theorie, nun die gelebte Praxis in Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe: Dort wurden im Testbetrieb bis dato rund 450.000 E-Rezepte erfolgreich ausgestellt. Dabei wird in der Arztpraxis der QR-Code auf ein weißes DIN-A4-Blatt ausgedruckt. Dieses Blatt Papier nimmt der Patient anschließend mit zu seiner Apotheke und löst es dort ein. Zu Deutsch: Alles ist wie immer und wie bisher. Der einzige Unterschied: Der Name des Präparates ist heute als QR-Code auf dem Papier angegeben. Noch einen Unterschied gibt es: Der Papierbedarf pro Rezept hat sich im Vergleich zum konventionellen rosafarbenen Rezept ungefähr verdoppelt.

Die digitale Übertragung des Rezeptes ist unverändert selbst in den freigeschalteten Pilotregionen praktisch nicht möglich. So ist der Versand des QR-Codes per E-Mail nicht zulässig, weil angeblich nicht sicher. Der Datentransport per Smartphone ist grundsätzlich möglich, sofern die Nutzer über die App „Das E-Rezept“ verfügt.

Diese App funktioniert allerdings nur in Kombination mit der elektronischen Gesundheitskarte der zweiten Generation. Zudem benötigen Sie für die neue Karte eine Nummer zur persönlichen Identifizierung (PIN). Die richtige Gesundheitskarte haben mittlerweile rund 40 % der deutschen Versicherten. Die Zugangs-PIN sollen allerdings nicht einmal ein Prozent der Versicherten haben.

Mein Fazit: Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens war und bleibt eine Posse. Auch in den nächsten Quartalen wird das E-Rezept für Zur Rose und für den Konkurrenten Shop Apotheke keine betriebswirtschaftliche Relevanz entfalten.

Die Hoffnung: Zur Rose und Shop Apotheke fusionieren

Also jetzt nur noch verkaufen, oder? Ich meine Nein. Warum?

Grundsätzlich gilt: Die belastenden Informationen sind im Markt, und die Aktie der Zur Rose wurde massiv ausverkauft. Es kann ab jetzt eigentlich nur noch besser werden. Vor einigen Wochen hat sich das Unternehmen zudem am Markt frisches Kapital besorgt. Gleichzeitig hat man ein Sparprogramm aufgelegt und strebt für das kommende Jahr eine durchgreifende Verbesserung des operativen Ergebnisses an.

Zur Rose ist also uneingeschränkt handlungsfähig und Stand heute für das kommende Jahr völlig ausreichend finanziert. Zum letzten Stichtag wies man eine Eigenkapitalquote in Höhe von 34 % auf. Das ist kein perfekter Wert, aber zumindest ungefähr europäischer Durchschnitt.

Ferner sehe ich schon die Chance, dass Zur Rose und Shop Apotheke mittelfristig fusionieren werden. Die letzten Monate haben gezeigt, die Disruption des deutschen Arzneimittelmarktes ist ein wirklich dickes Brett. Hier dürfte es also sinnvoll sein, dass man sich verbündet. Generell sind sich beide Unternehmen halbwegs freundschaftlich verbunden.

2018 hat man gemeinsam den Marktforscher DataMedIQ ins Leben gerufen, um verlässliche Daten aus dem Online-Medikamentenhandel zu generieren. 2020 wurde die Idee einer Fusion wahrscheinlich schon einmal unverbindlich diskutiert. Daraus kann man aber nicht unbedingt auf eine bevorstehende Fusion schließen. Zur Erinnerung: Im Rahmen eines Zusammenschlusses muss regelmäßig reichlich Führungspersonal den Hut nehmen. Dieser Sachverhalt verstellt gelegentlich bei dem einen oder anderen Top-Manager den Blick für die betriebswirtschaftlich sinnvolle Maßnahme.

Ein generelles Veto der bundesdeutschen Kartellwächter gegen einen Zusammenschluss der beiden Online-Apotheken müssen Sie nicht befürchten. Da sind schon noch einige andere Player sowohl digitaler wie stationärer Natur im Markt. Der Wettbewerb wird durch ein Zusammengehen der beiden führenden Online-Apotheken nicht zu sehr leiden.

Die Amazon-Option: Bekanntlich versendet Amazon praktisch alles. In den USA versendet man unter der Marke PillPack oder Amazon Pharmacy sogar Medikamente. Viele Analysten erwarten ein weiteres Ausgreifen des Online-Giganten im Gesundheitsmarkt. Mittlerweile verfügt man auch über eine Apothekenlizenz in Kanada und Großbritannien. Für die EU hat man sich die Marke Amazon Pharmacy eintragen und schützen lassen.

Nach dem Kursdebakel wiegt die Aktie der Zur Rose nur noch rund 314 Millionen CHF, Shop Apotheke bringt noch rund 700 Millionen Euro auf die Börsenwaage. Anders formuliert: Für Amazon sind beide europäischen Unternehmen ein ganz kleines Häppchen. Hier gibt es also momentan für kleines Geld einige Millionen Kunden, im Falle der Zur Rose die gut eingeführte Marke DocMorris sowie eine funktionierende Logistik. Amazon Pharmacy wäre schlecht beraten, wenn man diese Strukturen eigenständig aufbauen wollte. Zuletzt will ich noch erwähnen, dass allein der deutsche Arzneimittelmarkt über 55 Milliarden Euro schwer ist. Das ist ein Marktpotenzial, das durchaus für das US-Unternehmen relevant ist.

Aber Obacht! Amazon wird sehr wahrscheinlich nicht beide Online-Apotheken gleichzeitig nehmen. Wenn die Amerikaner nur nach der Shop Apotheke greifen, sind Sie als Zur Rose-Aktionär übel angeschmiert. Dann wird es für Zur Rose ein ganz langer Weg mit ungewissem Ausgang. Haben Sie diese Information bitte im Hinterkopf, sofern Sie an der Aktie festhalten möchten!

Mein Fazit: Eine Stabilisierung der Zur Rose-Aktie sehe ich noch nicht konkret. Trotzdem gilt: Der Markt, den die Schweizer beackern, ist groß und lukrativ. Das Geschäftsmodell ist im Bereich der verschreibungsfreien Präparate gut etabliert. Ich sehe schon die Chance, dass sich das Unternehmen aus eigener Kraft erholen wird. Mit externer Hilfe kann man den Vorgang natürlich erheblich abkürzen.

Sofern Sie sich entscheiden an der Aktie festzuhalten, rate ich Ihnen, erstens ein Stop-Loss zu definieren. Das können Sie bei 22,50 oder beispielsweise 17,50 CHF tun.

Die konkrete Höhe ist wahrscheinlich am Ende des Tages nicht ganz entscheidend. Wichtig ist vor allem, dass wir aus einer Aktie kein Dauerkaugummi machen. Zweitens empfehle ich Ihnen, für sich ein Zeitfenster zu definieren, innerhalb dessen Sie eine konkrete Verbesserung erwarten. Was meine ich?

Sagen Sie sich, ich will in 12 oder von mir aus auch 18 Monaten gewisse Meilensteine sehen. Das kann ein ausgeglichenes operatives Ergebnis, der Einstieg eines solventen Ankerinvestors oder eine Kooperation mit Shop Apotheke sein. Solche Meilensteine werden Sie als Börsianer schon erkennen. Bleibt eine solche Entwicklung aus, dann verkaufen Sie bitte, auch wenn das Stop-Loss nicht verletzt wird.

Zum Abschluss kann ich mir eine Bemerkung doch nicht ganz verkneifen. Ich möchte, dass Sie insbesondere bei den Positionen des risikoreichen NextGeneration-Depots allfällige Verkaufsempfehlungen zur Verlustbegrenzung berücksichtigen. Ich mache Ihnen bestimmt keinen Vorwurf. Ich weiß sehr genau, wer Ihnen diese Suppe eingebrockt hat. Sie tun sich allerdings keinen Gefallen, wenn Sie meinem Fehler noch einen eigenen hinterherschieben.