28. April 2021
Joe Biden schwingt die Steuerkeule – US-Markt vor Korrektur?
Die Regierung Joe Biden ist derzeit richtig fleißig. Man plant Investitionen zur Ertüchtigung der US-Infrastruktur. Kostenpunkt: 2 Billionen USD. In der vergangenen Woche brachte das Weiße Haus nun eine weitere Gesetzesinitiative namens „American Families Plan“ auf den Weg. Hier möchte man rund 1 Billion USD vor allem für Sozialprogramme und diverse bildungspolitische Maßnahmen mobilisieren. Es ist klar, dass diese großzügigen Programme finanziert werden müssen. Für diese Aufgabe hat der US-Präsident unter anderem Aktionäre ausgewählt.
Derzeit versteuern US-Anleger Kursgewinne aus Aktien nach einer bestimmten Haltedauer mit einem Steuersatz in Höhe von 23,8 % (Capital Gain Tax oder CGT). Gleichzeitig führt der US-Steuerzahler in der Spitze aktuell 40,8 % seines Einkommens an den Fiskus ab (zu Deutsch Spitzensteuersatz). Dieser Steuersatz soll nun gemäß dem American Families Plan moderat auf 43,4 % erhöht werden.
Und nun kommen die Aktionäre ins Spiel. Denn die US-Kapitalertragssteuer soll dem Spitzensteuersatz angeglichen werden. Konkret: Künftig wird der US-Aktionär also nicht mehr 23,8 % seiner Aktiengewinne abführen, sondern 43,4 %. Das entspricht einer Steuererhöhung von über 82 %. Die Steuerreform wird mit großer Wahrscheinlichkeit zum 1. Januar 2022 in Kraft treten.
Wer ist konkret betroffen? Die Planungen des Weißen Hauses sehen eine Art soziale Komponente vor, die sicherstellt, dass Privatanleger aus dem Mittelstand verschont bleiben. So greift diese Aktiensteuer erst ab einem jährlichen Einkommen von 1 Million USD. Faktisch werden also rund 99 % der US-Haushalte von dieser Steuer verschont bleiben. Das ist löblich, aber dennoch für uns als Aktionär unbefriedigend.
US-Investoren werden sich wehren
Ich möchte den 99 % US-Privatanlegern nicht zu nahe treten. Aber Joe Sixpack aus Idaho mit dem 25.000-USD-Depot macht nicht die Kurse an der Wall Street. Die Kurse machen eben genau die 1 % Superreichen, die im nächsten Jahr richtig zur Kasse gebeten werden sollen. Und die werden diese Steuererhöhung nicht einfach schlucken.
Diese Investoren können nämlich den erhöhten Steuersatz umgehen, sofern sie noch in diesem Jahr ihre Aktienbestände veräußern. Das Wall Street Journal hat hierzu eine interessante Rechnung aufgemacht: Danach schlummern nach rund 11 Jahren Hausse derzeit Kursgewinne im Volumen von rund 1 Billion USD in den US-Depots. Und diese Kursgewinne müssen nun bis zum 31. Dezember aus den Depots raus, wenn man als US-Investor noch vom aktuell gültigen Steuertarif profitieren möchte.
Das entspricht übrigens rund 3 % der Marktkapitalisierung aller US-Aktien oder etwa 30 % des monatlichen Handelsumsatzes nur im S&P 500. Dabei hat diese Rechnung einen kleinen, aber bedeutenden Denkfehler. Wir können nicht gezielt Kursgewinne verkaufen, sondern müssen immer die komplette Position veräußern.
Ein Rechenbeispiel: In Ihrem Depot liegen Kursgewinne im Wert von 10.000 Euro. Insgesamt haben Sie eine Wertentwicklung von 50 % erzielt. Dafür mussten Sie zuvor ziemlich genau 6.666 Euro investieren. Wenn wir dieses Beispiel auf den US-Aktienmarkt übertragen, müssen die dortigen Aktionäre Bestände im Wert von 1,66 Billionen USD ans Parkett bringen, um Kursgewinne in Höhe von 1 Billion USD zu realisieren. Mit anderen Worten: Werden die oben skizzierten Steuerpläne Realität, müssen wir uns auf eine saftige Verkaufswelle am Aktienmarkt einstellen, die die Höhe der aktuellen Buchgewinne der US-Depots weit überschreiten kann.
Dabei wird diese Verkaufswelle selbstverständlich auch Europa erfassen, da US-Investoren nicht nur mit heimischen Titeln Kursgewinne erzielt haben. Hier gilt: Für den US-Fiskus spielt es keine Rolle, ob der steuerpflichtige Buchgewinn mit der Microsoft- oder mit der Daimler-Aktie erzielt worden ist. Anders formuliert: US-Investoren sind möglicherweise versucht, in Frankfurt, Bern oder Paris ebenfalls Kasse zu machen.
Im Januar 2022 wird der Spuk ausgestanden sein
Bevor Sie nun mit zittriger Hand Ihre Order-Software starten, um Ihr Depot auszuverkaufen, lesen Sie besser folgende Differenzierung bzw. Klarstellung: Wir als Europäer sind von dieser Steuerreform nicht unmittelbar betroffen, da wir selbstverständlich nicht vom US-Steuerrecht erfasst werden. Wenn Sie also Ihre Netflix oder Microsoft nächstens mit schönem Gewinn abstoßen, bezahlen Sie zunächst die gleiche Steuer wie zuvor.
Noch wichtiger: Die Regierung Biden hat im Kongress keine ausreichende Mehrheit, um derart massive Steuererhöhungen durchzusetzen. Außerdem zeigten sich zuletzt sogar demokratische Politiker von den Steuerplänen irritiert und haben zur Mäßigung aufgerufen. Heute wird übrigens der US-Präsident im vereinigten Kongress seine Steuerpläne erläutern. Diese Rede wird für uns von großer Bedeutung sein.
Eine vorläufige Prognose: Der steuerpolitische Vorstoß des Weißen Hauses wird im anstehenden Gesetzgebungsprozess erheblich „abgeschliffen“ werden, da der US-Präsident nicht nach Belieben „durchregieren“ kann. Gleichwohl rechne ich damit, dass in den USA mit Wirkung für 2022 zahlreiche Steuersätze moderat steigen werden. Folgende Steuerfelder bzw. Einkommensarten werden betroffen sein: Aktienerträge, normales Einkommen, Unternehmenssteuern sowie vererbte Depots.
Die Maßnahmen alleine sind nicht geeignet, einen Crash hervorzurufen. Aber: Sobald die Steuerreform Gestalt annehmen wird, wird die aktuelle Hausse des Aktienmarktes beendet. Derzeit spricht viel dafür, dass das zweite Halbjahr für uns rendite-arm ausfallen wird. Kursauftriebe werden von zwischenzeitlichen Verkaufswellen immer wieder früh erstickt.
Im Januar 2022 wird der Verkaufsdruck spürbar nachlassen. Denn dann hat jeder verkaufswillige Investor gehandelt und wird sich wieder auf die Käuferseite begeben. Dieses Muster haben wir in der Vergangenheit etwa in den Jahren 2012/13 gesehen, sobald eine Erhöhung der Aktiensteuern absehbar war. Anders formuliert: Kurzfristig werden die Steuerpläne des Weißen Hauses schädlich für den Aktienmarkt sein, langfristig werden wir allerdings als Börsianer weiterhin erfolgreich sein.
Das ist meine kurzfristige Depottaktik
Wir dürfen davon ausgehen, dass unter einer Erhöhung der Kapitalertragssteuer besonders Technologie- und Wachstumswerte leiden werden. Der Zusammenhang ist einfach, wie dieses Beispiel zeigt: Wenn Sie vor 5 Jahren die Netflix-Aktie gekauft haben, sitzen Sie nun auf einem Buchgewinn in Höhe von 419 %. Hier wirkt also der erhöhte Steuersatz besonders intensiv. Die Aktie der General Electric hingegen hat in diesem Zeitraum knapp 60 % verloren. Hier hat der Investor kein Steuerproblem und wird folglich – zumindest aus steuertaktischen Gründen – nicht verkaufen.
Das folgt logisch: Im NextGeneration-Depot halte ich zunächst an der erhöhten Cashquote von 41 % fest. Ferner streiche ich die Kaufempfehlungen der Polytec sowie der ElringKlinger, zumal beide Aktien zuletzt ohnehin das von mir empfohlene Kauflimit deutlich überschritten haben.
Die Kaufempfehlungen des Dividendendepots behalte ich zunächst bei. Ich gehe weiterhin davon aus, dass Substanz (Dividendendepot) in diesem Jahr Wachstum (NextGeneration) schlagen wird.